Sie sind Inhalt aberwitzig erscheinender Meldungen in der Boulevardpresse und liefern den Stoff für vergnügliche Vorabend-TV-Serien. Die Rede ist von Nachbarschaftsstreitigkeiten, die in irgendeiner Form eskaliert sind. Fakt ist gleichwohl, dass sich deutsche Zivilgerichte – oder deren vorgelagerte Schlichtungsstellen – Jahr für Jahr mit Hunderten von Fällen von Nachbarzank auseinandersetzen müssen. Dabei geht es um Heckenpflanzen, die zu hoch oder zu breit sind, Bäume, die zu viel Schatten oder zu viel Laub werfen, um Musik, die zu laut oder um Grillgeruch, der zu penetrant ist. Im Mittelpunkt steht dabei stets die Frage: Was dürfen Sie auf Ihrem Grundstück und was nicht? Welche Maßnahme beeinträchtigt eventuell das Wohlbefinden Ihres Nachbarn unbotmäßig?
Das Nachbarschaftsrecht regelt die Rechte und Pflichten zwischen Nachbarn und fordert den Grundsatz gegenseitiger Rücksichtnahme ein. Haken an der Sache: Neben ein paar grundsätzlichen (privatrechtlichen) Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bestimmen vor allem die öffentlich-rechtlichen Vorschriften der einzelnen Bundesländer das Nachbarschaftsrecht. Es gibt folglich keine bundesweit einheitlichen Regelungen. Ihr Wohnort hat daher einen maßgeblichen Einfluss darauf, wie nah Ihre Hecke am Nachbargrundstück stehen oder wie hoch Ihr Sichtschutz sein darf. Ein Überblick.
Gesetzliche Grundlagen des Nachbarschaftsrechts
Das private Nachbarschaftsrecht – auch einfach Nachbarrecht genannt – stützt sich auf die §§ 903 bis 924 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). In diesen Vorschriften geht es grundsätzlich um die Befugnisse eines Eigentümers – auch einer Immobilie – und die Grenzen seines Eigentums. Aus den Verletzungen der privatrechtlichen Nachbarschaftsvorschriften können Abwehr- und Schadensersatzansprüche eines geschädigten Nachbarn abgeleitet werden. Nachbarn sind nach dem „Grundsatz von Treu und Glauben“ zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet. Beispiel: Ein Eigentümer kann zwar mit seinem Eigentum „nach Belieben verfahren“, allerdings nur insoweit, als dass „nicht Rechte Dritter“ entgegenstehen (§ 903 BGB). Oder: Der Eigentümer eines Grundstücks kann verlangen, dass auf den Nachbargrundstücken keine Anlagen „hergestellt oder gehalten werden“, …die eine „unzulässige Einwirkung auf sein Grundstück haben“ (§ 907 BGB).
Die recht allgemein gehaltenen Ausführungen des BGB haben die einzelnen Bundesländer in der Folge durch spezifische öffentlich-rechtliche Vorschriften ergänzt, die zum Teil aus den Landesbauordnungen abgeleitet sind, und so eigenständige Nachbarschaftsgesetze erlassen. Und diese Gesetze reichen nun bis hinab in die Niederungen der genauen Festlegung, welchen Abstand eine wie hoch wachsende Hecke zur Grundstücksgrenze einhalten muss. Gleichwohl gilt: Die Vorgaben in den Ländern sind sich im Prinzip recht ähnlich, sie unterscheiden sich lediglich durch konkrete Abstände und Höhen.
Falls es Sie interessiert: Nach dem zweiten Weltkrieg war es Baden-Württemberg, das 1959 als erstes deutsches Land ein ausdrückliches Nachbargesetz (NRG) erließ. In den 1960er Jahren folgten Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Heute verfügt nur Mecklenburg-Vorpommern über kein eigenes Nachbarschaftsgesetz – wobei sich in Bayern einige Regelungen des Nachbarrechts auch im dortigen Ausführungsgesetz zum BGB finden. Das Prinzip der „gegenseitigen Rücksichtnahme“ ist gleichwohl in allen Gesetzestexten explizit formuliert.
Grundstücksgrenzen und Bepflanzungen
Zu den unbedingten Favoriten des nachbarschaftlichen Zoffs gehören Streitereien rund um die Grundstücksgrenze, respektive deren Markierung oder Bepflanzung. Es gelten die folgenden Regeln:
• Errichtet ein Eigentümer einen Zaum oder eine Mauer nur auf dem eigenen Grundstück (an dessen Grenze), so muss der Nachbar dies grundsätzlich hinnehmen. Es sei denn, die Einfriedung widerspricht dem „ortsüblichen Gesamtbild“. Maßgeblich für die Beantwortung der Frage, ob ein Zaun noch ganz auf dem eigenen Grundstück steht, ist auch die Breite des Fundaments: Auch der Sockel darf die Grundstücksgrenze nicht überschreiten.
• Soll der Zaun hingegen auf einem Teil des Nachbargrundstücks stehen, so muss die Zustimmung des Nachbarn eingeholt werden – der diese auch schlicht verweigern kann. Bauen Sie in einem solchen Fall, eventuell ohne Ihren Nachbar vorher um Erlaubnis gebeten zu haben, trotzdem einen Zaun, der das Nachbargrundstück tangiert, so kann Ihr Nachbar die vollständige Beseitigung verlangen.
• Die Kosten für die Errichtung und Pflege eines Zauns gehen grundsätzlich zu Lasten desjenigen, auf dessen Grundstück der Zaun steht.
• Mauern und Zäune mit einer Höhe zwischen 40 und 90 Zentimetern gelten als symbolische Grenzmarkierung, ab 170 bis 190 Zentimetern als Sichtschutz – in diesem Fall muss der Abstand zum Nachbargrundstück mindestens 50 Zentimeter betragen. Einfriedungen bis zu einer Höhe von 180 Zentimetern sind in den meisten Bundesländern genehmigungsfrei.
Pflanzen an und auf der Grundstücksgrenze sind ein nie versiegender Quell nachbarschaftlicher Auseinandersetzungen. Weil Äste überhängen, Pollen im Sommer und Laub im Winter das Outdoor-Vergnügen des Nachbarn trüben oder hohe Hecken den Garten verschatten: Die folgend genannten Regelungen gelten in ähnlicher Form für alle Bundesländer, die konkreten Zahlen beziehen sich auf Bayern:
• Abstandsvorschriften gelten grundsätzlich für Sträucher, Hecken und Bäume sowie für Wein- und Hopfenstöcke, nicht jedoch für Stauden wie beispielsweise Rittersporn.
• Der erforderliche Grenzabstand richtet sich nach der Höhe der Pflanze: Ist sie (oder wird sie) bis zu 2 Meter hoch, so müssen Sie einen Abstand von mindestens 50 Zentimetern zur Grundstücksgrenze einhalten. Bei Pflanzen, die höher als 2 Meter sind (oder werden) sind es 2 Meter.
• Der Abstand ist die kürzeste Verbindung zur Grenze: Achtung, die folgende Anleitung steht so tatsächlich in den Informationen des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz: „Gemessen wird der Abstand bei Bäumen von der Mitte des Stammes, bei Sträuchern und Hecken von der Mitte des Triebes, welcher der Grenze am nächsten steht. Maßgebend ist immer die Stelle, an der der Stamm oder Trieb aus dem Boden tritt. Eine eventuelle Neigung des Stammes oder Triebes zur Grenze hin bleibt unberücksichtigt.“
• Ein Verstoß gegen die Abstandsvorschriften hat in der Regel zur Folge, dass der Nachbar die „Herstellung eines vorschriftsmäßigen Abstands verlangen kann“. Meint ganz praktisch: Hecke oder Baum müssen entfernt werden.
• Nicht nur in Bayern, sondern auch in den meisten anderen Bundesländern gilt: Blätterfall von Sträuchern oder Bäumen an der Grenze auf das eigene Grundstück müssen Sie als Nachbar tolerieren. Eventuell herabfallendes Obst dürfen Sie essen – vom Baum pflücken aber nicht. Bei überhängenden Zweigen müssen Sie zunächst den Nachbarn um Beseitigung bitten, kommt er einer wiederholten Aufforderung nicht nach, können Sie selbst zur Heckenschere greifen. Gleiches gilt für die Wurzeln von Baum oder Strauch, die sich nicht an die Grenzmarkierung gehalten haben.
• Zur Belästigung durch Pollen und Samen gibt es eine letztinstanzliches Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH V ZR 218/18). Geklagt hatte ein Anwohner auf Beseitigung von zwei Birken auf dem Nachbargrundstück, die regelmäßig große Mengen an Pollen und Laub auf dem eigenen Grundstück abluden – er unterlag. Begründung: Das Einhalten der landesrechtlichen Abstandsgrenzen indiziert eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Grundstücks, so dass kein Sachgrund vorliegt, der einen Beseitigungsanspruch rechtfertigt.
Gut zu wissen: Ansprüche auf Beseitigung oder Rückschnitt von Bäumen oder Sträuchern unterliegen der Verjährung. Sie beträgt (in Bayern) fünf Jahre und beginnt mit dem Ende des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch entstanden ist und der Eigentümer des Grundstücks davon Kenntnis erhalten hat.
Beispiel: Ein Grundstückseigentümer pflanzt im Jahr 2016 eine 1 Meter hohe Fichte in einem Abstand von 1 Meter zur Grundstücksgrenze. Im Laufe des Jahres 2019 überschreitet die Fichte deutlich die Höhe von 2 Metern. Im Jahr 2024 ist sie 4,50 Meter hoch und nimmt inzwischen der Terrasse des Nachbarn das Sonnenlicht. Der Nachbar verlangt daher im Juli 2024 die Beseitigung der Fichte oder zumindest ihren Rückschnitt auf eine Höhe von 2 Metern. Der Anspruch des Nachbarn war im Juli 2024 noch nicht verjährt. Die fünfjährige Verjährungsfrist begann am 31. Dezember 2019, 24 Uhr, und endete am 31. Dezember 2024.
Und: Nach einen Zurückschnitt entsteht der Anspruch auf Beseitigung mit jeder Überschreitung der zulässigen Gesamthöhe erneut – und jedes Mal startet eine neue Verjährungsfrist.
Immissionen, Lärmschutz und Ruhezeiten
Der röhrende Rasenmäher, die rauschende Gartenparty oder der beißende Geruch gegrillter Räucherfische – wenn es aus Nachbars Garten ständig herüberschallt und -stinkt, kann das selbst einen friedliebenden Menschen gelegentlich zur Weißglut bringen – weil er sich seiner wohlverdienten Ruhe beraubt sieht.
Grundsätzlich müssen Sie als Eigentümer eines Grundstücks, „Einwirkungen dulden“, wenn diese die Benutzung Ihres Grund und Bodens „nicht oder nur unwesentlich“ beeinträchtigen. Eine Beeinträchtigung gilt dabei als unwesentlich, wenn die Grenz- oder Richtwerte, die in einschlägigen Gesetzen und Verwaltungsvorschriften festgeschrieben sind, nicht überschritten werden. In aller Regel kommt es aber nahezu immer auf die Umstände des Einzelfalls an. Was in einer ruhigen Villengegend unzulässig ist, kann in einem Gebiet mit Gewerbebetrieben durchaus erlaubt sein. Oder: Der Misthaufen stinkt in einem landwirtschaftlich geprägten Umfeld völlig selbstverständlich vor sich hin, würde in einer städtischen Wohngegend hingegen vermutlich für Aufruhr sorgen. Zu Ihrer Orientierung, hier gleichwohl ein paar Punkte, die Sie für gewöhnlich tolerieren müssen:
• Bei von Kindern verursachtem Lärm gilt ein besonderes Toleranzgebot. In aller Regel müssen Sie das fröhliche Juchzen, das laute Rufen, Gekicher und Gekreische aushalten.
• Geräuschemissionen von Rasenmähern, Laubbläsern und ähnlichen können Sie ebenfalls nicht auf dem Klageweg „abstellen“, Sie können allerdings auf Einhaltung der in Wohngebieten üblichen Ruhezeiten bestehen. Diese sind in fast allen Bundesländern auf 13 bis 15 Uhr mittags und auf 22 Uhr abends bis 6 Uhr morgens festgelegt.
• Bei Radio und Fernsehgeräten dürfen Sie auf Einhaltung von Zimmerlautstärke pochen. Bei der Benutzung von Musikinstrumenten gelten ebenfalls die obigen Ruhezeiten.
• Die Ankündigung einer Party entbindet nicht von der Einhaltung der Nachtruhe ab 22 Uhr. Im Akutfall können Sie die Polizei rufen, die die laute Feiergesellschaft dann schnell zur Räson bringt.
• Bei Geruchsbelästigungen durch den grillfreudigen Nachbarn haben Sie kaum eine Handhabe, solange sich die Häufigkeit in Grenzen hält. Bei Rauchbelästigungen durch einen Kaminofen können Sie den Nachbarn zunächst freundlich darauf hinweisen und ihn bitten, einen Schornsteinfeger mit der Reinigung des Kamins zu beauftragen. Oft reicht das schon.
• Ein stinkender Komposthaufen hat da schon ein anderes Kaliber. Die Bundesländer regeln in besonderen Vorschriften, wie und welche Abfälle überhaupt kompostiert werden dürfen und in welcher Art eine hinreichende Belüftung garantiert werden muss, um eine übermäßige Geruchsbildung zu vermeiden oder Ratten und anderes Ungeziefer anzulocken. Stinkt der Kompost des Nachbarn trotzdem – oder weil Regeln missachtet wurden –, so haben Sie grundsätzlich einen Anspruch auf Unterlassung oder Beseitigung nach § 1004 BGB. Hilft keine außergerichtliche Abmahnung, so bleibt nur der Klageweg, dem in den meisten Bundesländern ein Schlichtungsverfahren vorgeschaltet ist (dazu weiter unten).
Gut zu wissen: Eigentümer, die eine Wärmepumpe installieren möchten, stellen diese gern an der Grundstücksgrenze auf, wo sie weder gesehen noch gehört wird. Noch sind sich die Gerichte relativ uneins, ob Wärmepumpen die in den Bauordnungen der Länder für Gebäude vorgesehenen Abstandsflächen zum Nachbargrundstück einhalten müssen oder nicht. Immerhin verursachen sie Geräuschemissionen, die geeignet sind, den Nachbarfrieden zu gefährden. Erkundigen Sie sich daher unbedingt bei Ihrer zuständigen Baubehörde, welche Regelung bei Ihnen vor Ort gilt.
Grenzüberschreitung: Hammerschlags-, Wegerecht und Co.
Das Nachbarschaftsrecht kümmert sich nicht nur darum, was Eigentümer auf ihrem Grundstück dürfen und was nicht, es gesteht Nachbarn auch ausdrückliche Rechte an fremdem Grund und Boden zu. Besonders augenfällig ist dies beim sogenannten Hammerschlags- und Leiterrecht und natürlich beim Wegerecht.
• Hammerschlags- und Leiterrecht
Das Hammerschlags- und Leiterrecht erlaubt Ihnen, das Grundstück des Nachbarn zu betreten, um Arbeiten und Reparaturen an Ihrem Gebäude durchzuführen. Dies gilt insbesondere, wenn es ausgesprochen schwierig oder schlicht unmöglich ist, diese Instandsetzungen von Ihrem eigenen Grundstück aus zu erledigen – beispielsweise, wenn Sie eine Regenrinne reinigen möchten. Um die Arbeiten sicher ausführen zu können, können Sie zu diesem Zweck auch Leitern oder Gerüste aufstellen. Wichtig: Die Beeinträchtigungen für den Nachbarn dürfen nicht „unverhältnismäßig“ sein und selbstverständlich müssen Sie für alle Schäden, die eventuell entstehen, aufkommen.
Das Hammerschlags- und Leiterrecht haben alle Bundesländer in ihrem Nachbarschaftsrecht verankert, unterschiedlich lang sind die sogenannten Ankündigungsfristen: In Bayern müssen Sie Ihre Arbeiten vom fremden Grundstück aus „mindestens einen Monat vor Beginn anzeigen“. Aber: „Ist die Ausübung des Hammerschlags- und Leiterrechts zur Abwendung einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr erforderlich, entfällt die Verpflichtung zur Anzeige.“
• Wegerecht
Liegen zwei Grundstücke so, dass nur eines der beiden einen Zugang zu einer öffentlichen Straße hat, muss dem Eigentümer des hinteren Grundstücks ein Weg oder Zugang zu seinem Besitz über fremden Grund und Boden ermöglicht werden. Dieses Recht wird als Wegerecht bezeichnet. Als dienendes Grundstück gilt dabei das Grundstück, das den Zugang erlauben muss – das Pendant, das von dem Zugang profitiert, heißt herrschendes Grundstück.
Grundsätzlich müssen Sie zwischen einem öffentlich-rechtlichen und einem privatrechtlichen Wegerecht unterscheiden. Das öffentlich-rechtliche wird als Baulast in das Baulastenverzeichnis eingetragen und markiert eine Verpflichtung gegenüber der Baubehörde, beispielsweise zur Gewährleistung einer Feuerwehrzufahrt. Das privatrechtliche Wegerecht kann hingegen auf zwei Arten begründet werden: Als privatrechtlicher Vertrag oder als Eintrag einer Grunddienstbarkeit im Grundbuch. Die Unterschiede:
- Vereinbaren die beiden Eigentümer der hintereinanderliegenden Grundstücke in einem privatrechtlichen Vertrag ein Wegerecht, so gilt dieses nur für die Vertragspartner. Beim Verkauf eines Grundstücks erlischt das Wegerecht.
- Wird das Wegerecht hingegen als Grunddienstbarkeit im Grundbuch des dienenden Grundstücks vermerkt, so ist es fortan mit diesem „verbunden“. Das meint. Es bleibt auch bei einem Eigentümerwechsel unverändert bestehen.
Für gewöhnlich ist das Wegerecht zugleich ein (Über-)Fahrrecht, es impliziert die Nutzung des Zugangs nicht nur zu Fuß, sondern auch mit dem Auto. Das Überfahrrecht gilt im Übrigen nicht nur für den Eigentümer, sondern auch für dessen Familie, Freunde und Besucher. Verpflichtend ist die sogenannte „schonende Ausübung“ des Wegerechts, das meint: Das fremde Eigentum darf weder beeinträchtigt noch beschädigt werden.
Der Eigentümer des herrschenden Grundstücks kann die Benutzung des dienenden Grundstücks im Extremfall verlangen und sich dabei auf den § 917 BGB zum Notwegerecht berufen. Absatz 2 des genannten Paragraphen sieht gleichwohl vor, dass „die Nachbarn, über deren Grundstücke der Notweg führt, durch eine Geldrente zu entschädigen“ sind.
• Notstand zur Abwehr von Gefahren
Auch in Fällen eines sogenannten Notstands (§ 904 BGB) haben Sie als Eigentümer das Recht, das Grundstück Ihres Nachbarn zu betreten, um eine unmittelbare Gefahr abzuwenden. Klassisches Beispiel für eine solche Situation ist ein umsturzbedrohter Baum nahe an der Grundstücksgrenze, der nur durch Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks sachgerecht gefällt werden kann. Der Nachbar ist zur Duldung verpflichtet. Vorausgesetzt, der drohende Schaden ist unverhältnismäßig größer als der Schaden, der dem Nachbarn durch das Betreten seines Grundstücks entsteht.
Am Rande: Kickt ein Kind einen Ball auf das Nachbargrundstück, so handelt es sich mitnichten um einen Notstand, der ein eigenmächtiges Betreten des Nachbargrundstücks rechtfertigen würde. Gleichwohl muss der Nachbarn Ihnen gestatten, danach zu suchen und den Ball wieder an sich zu nehmen.
Bauvorhaben und Grundstücksnutzung
Das Nachbarschaftsrecht regelt die alltäglichen Rechte und Pflichten von Nachbarn untereinander – es greift gleichwohl auch, wenn Sie auf Ihrem Grundstück (nicht unbedingt alltäglich) ein Bauvorhaben realisieren möchten, beispielsweise wenn Sie mit einem Unterstand für Ihr Brennholz, einer Gartenlaube oder Garage bis an die Grundstücksgrenze vorrücken möchten. Vorschriften zur sogenannten Grenzbebauung finden sich daher nicht nur im Baugesetzbuch und in der Landesbauordung, sondern auch im Nachbarschaftsrecht. Und selbstredend im Bebauungsplan, der die Mindestabstände zwischen zwei Gebäuden auf benachbarten Grundstücken sowohl großzügiger bemessen als auch Toleranzen einschränken kann. Sie sind folglich gut beraten, vor der Beauftragung der Handwerker die einschlägigen Vorschriften genau zu studieren.
1. Abstandsflächen zur Grundstücksgrenze
- Deutschlandweit gelten bestimmte Abstandsflächen, die zur Grenze des Nachbargrundstücks gewahrt werden müssen. Die konkreten Maße unterscheiden sich in den Ländern und reichen von 2,50 bis 3 Meter. In Bayern sind es, wie in den meisten Kommunen, 3 Meter.
- Möchten Sie die vorgeschriebene Abstandsfläche unterschreiten, so benötigen Sie dafür einerseits das Einverständnis des Nachbarn. Andererseits ist die Grenzbebauung gemäß Landesbauordnung überhaupt nur möglich, wenn der Nachbar die fehlende Abstandsfläche auf seinem Grundstück übernimmt.
Beispiel: Unterstellt die Abstandsfläche für Ihr Bauvorhaben muss 3 Meter bis zum nächsten Gebäude betragen. Das heißt, Ihr Haus muss 1,50 Meter vom Nachbargrundstück entfernt sein und das nächste Gebäude auf dem Nachbargrundstück muss ebenfalls einen Abstand von 1,50 Meter zur Grenze einhalten. Sie planen jedoch, bis auf einen halben Meter an die Grenze heranzubauen. Das geht nur, wenn Ihr Nachbar dem zustimmt und gleichzeitig einen Mindestabstand von 2,50 Meter einhält, um Ihr Heranrücken auszugleichen.
Gut zu wissen: Wenn Sie ohne Erlaubnis zu nah an der Grundstücksgrenze bauen, können Sie auch geraume Zeit später noch „kalt erwischt“ werden: Denn nach den Buchstaben des Gesetzes verjährt dieses Unrecht niemals. Ob die Beseitigung eines „Schwarzbaus“ 20 Jahre nach seiner Errichtung von einem neuen Grundstückseigentümer nebenan dann tatsächlich erfolgreich eingeklagt werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Verlassen Sie sich trotzdem besser nicht auf eine wohlmeinende Entscheidung zu Ihren Gunsten.
2. Besonderheiten und Ausnahmen
• Sind im Bebauungsplan rote Baulinien eingezeichnet, so verpflichten diese den Bauherrn zur Bebauung. Eine Genehmigung des Nachbarn ist nicht erforderlich.
• Für „privilegierte Fälle“ der Grenzbebauung ist ebenfalls keine Nachbarzustimmung nötig. Dazu zählen Carport, Garage und Gartenlaube, wenn deren Grundfläche nicht mehr als 50 qm, die Gesamtlänge maximal 9 Meter und die mittlere Wandhöhe höchstens 3 Meter umfasst (Alle Maße beziehen sich auf Bayern).
• Für Reihenhäuser und Doppelhaushälften gelten die Regeln zur Grenzbebauung logischerweise nicht.
• Die zulässige Höhe einer Grenzbebauung richtet sich nach der Art der Bebauung und den regionalen Vorgaben. Informieren Sie sich ausführlich und projektbezogen dazu. Grundsätzlich sind Grenzbebauungen bis zu einer Höhe von 3 Metern immer erlaubt und dürfen in aller Regel ohne Baugenehmigung errichtet werden.
• Eine Grenzbebauung ist auch dann widerrechtlich, wenn sie zwar alle Paragraphen der Bauordnung berücksichtigt und mit Zustimmung des Nachbarn erfolgt, gleichzeitig aber gegen den geltenden Bebauungsplan verstößt.
• Fensterrecht: Grundsätzlich gilt in Deutschland das Recht auf ein Fenster. Ja, das gibt es wirklich. Das bedeutet, ein Gebäude darf auch an einer Grundstücksgrenze Fenster haben. Diesem Recht kann der Nachbar jedoch einen Riegel vorschieben, wenn seine Privatsphäre durch das Fenster verletzt wird, beispielsweise weil seine Wohnräume unmittelbar einsehbar sind.
• Lichtschutzrecht: Das Lichtschutzrecht ist quasi das Gegenteil des Fensterrechts. Es schreibt vor, dass ein rechtmäßig eingebautes Fenster in der Nähe einer Grundstücksgrenze durch neue bauliche Analgen auf dem Nachbargrundstück nicht so verschattet werden darf, dass die dahinterliegenden Räume nicht mehr ausreichend Licht und Luft erhalten.
Streitfälle und Konfliktlösungen im Nachbarschaftsrecht
Nachbarschaftliche Streitigkeiten werden in der „Hitze des Gefechts“ oft erbittert geführt und können schnell eskalieren. Nicht zuletzt deshalb haben die meisten Bundesländer der gerichtlichen Klage ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren zwingend vorgeschaltet. Dieses muss von den Streithähnen zunächst absolviert werden, bevor sie sich vor den Schranken eines Gerichts begegnen können. Zielvorgabe des Schlichtungsverfahrens ist eine außergerichtliche Einigung, mit der die Gerichte entlastet und insbesondere Kosten gespart werden können. Und natürlich geht es darum, die Beteiligten, die ja in aller Regel noch viele Jahre nebeneinander leben müssen, nicht zu verhärmten Gegnern zu machen, sondern den Sachverhalt nüchtern zu diskutieren und eine für beide Seiten akzeptable, einvernehmliche Lösung zu finden.
Das Schlichtungsverfahren startet mit dem Antrag eines Nachbarn bei der zuständigen Gütestelle. Diese bestimmt anschließend eine Schlichtungsperson, bei der es sich regelmäßig um einen Rechtsanwalt handelt. Der Antrag wird an die „Gegenpartei“ verschickt und beide werden zu einer Schlichtungsverhandlung im Nachbarschaftsrecht geladen. Persönliches Erscheinen ist bei der nicht-öffentlichen Verhandlung Pflicht, die Ladung von Zeugen oder Sachverständigen nicht üblich. Anschließend gibt es zwei Möglichkeiten: Die beiden Nachbarn einigen sich und schließen einen Vergleich (der sogleich als verbindlicher Titel gilt) oder die Gütestelle bescheinigt das Scheitern der Verhandlungen – und macht damit den Weg für eine mögliche Klageerhebung frei. Die Kosten für ein solches Schlichtungsverfahren liegen in Bayern zwischen 50 bis 100 Euro.
Fazit: Versuchen Sie, sich gütlich mit Ihrem Nachbarn zu einigen
Das Nachbarschaftsrecht umfasst eine Vielzahl von Rechten, Normen und Regeln, die das Zusammenleben von Nachbarn erleichtern sollen. Es untersteht weitgehend der Hoheit der Länder. Das bedeutet, dass einige Vorschriften, die in Bayern verbindlich sind, in Hessen nicht zwangsläufig auch so gelten müssen. Im Grundsatz haben gleichwohl alle Nachbargesetze das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme verinnerlicht. Und diese Maxime kann Ihnen im alltäglichen Leben so manchen Ärger ersparen. Versuchen Sie, streitsensible Angelegenheiten wie grenznahe Bepflanzungen, den Überhang von Zweigen oder die fröhlichen Garten- und Grillpartys auf Ihrer Terrasse vorsorglich und freundlich mit Ihrem Nachbarn zu besprechen. Bieten Sie ihm an, den störenden Überhang bei nächster Gelegenheit zu kappen, laden Sie Ihn zum nächsten Fest ein oder backen Sie Ihm einen frischen Apfelkuchen als Entschädigung für das gelegentliche Fallobst auf seinem Grundstück. Nachbarschaftlicher Zoff ist kräftezehrend und nervenaufreibend, ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis kann hingegen hilfreich und bereichernd sein.
FAQs
1. Darf ich überhängende Äste und Zweige abschneiden?
Ja. Allerdings erst, wenn Sie dem Eigentümer des Nachbargrundstücks zuvor eine angemessene Frist zur Beseitigung gesetzt haben. Der Bundesgerichtshof hat im Juni 2021 entschieden, dass ein solcher Rückschnitt sogar dann erlaubt ist, wenn durch das Abschneiden das Absterben des Baumes oder der Verlust der Standfestigkeit droht.
2. Kann ich mich gegen die Lärmbelästigung aus dem Nachbargarten wehren?
Das kommt darauf an. Generell gilt bundesweit eine Nachtruhe von 22 Uhr bis 6 Uhr und – je nach Bundesland – eine Mittagsruhe von 13 Uhr bis 15 Uhr, die Sie, notfalls mit Hilfe der Polizei, einfordern können. Lärm durch spielende Kinder, den Nachbarn, der musiziert oder laute Musik hört, knatternde Rasenmäher oder Laubbläser müssen Sie hingegen tolerieren – solange die Ruhezeiten eingehalten werden.
3. Kann ich von meinem Nachbarn den Rückschnitt der Hecke verlangen?
Ja. Vorausgesetzt, die Hecke überschreitet eine Höhe, die nicht mehr mit dem erforderlichen Grenzabstand zusammenpasst. Erreicht die Hecke beispielsweise eine Höhe von über 2 Metern und steht sie nur einen halben Meter von der Grundstücksgrenze entfernt, so muss sie (in Bayern) auf das zulässige Maß von 2 Metern gestutzt werden.
4. Muss ich meinen Nachbarn um Zustimmung für einen Garagenanbau bitten?
Nein. Sofern Ihre Garage nicht höher als 3 Meter und nicht länger als 9 Meter ist, benötigen Sie in Bayern dafür weder eine Baugenehmigung noch die Erlaubnis Ihres Nachbarn.